Am zweiten Advent lud der Kirch-Bauverein zu einem ganz besonderen Konzert in die Christophoruskirche. Es stand unter dem Motto „Play Advent“, inspiriert von dem Klaviertrio, das in den 1960er Jahren großen Erfolg mit Konzerten und Aufnahmen unter dem Titel „Play Bach“ hatte: Stücke des Thomaskantors wurden mit Jazzelementen angereichert und neu interpretiert. Das war auch der Ansatz des Pianisten Wolfgang Petrak. Bekannten Weihnachtsliedern, die wir alle aus unserem Gesangbuch kennen (z.B. Es ist ein Ros entsprungen, O Heiland reiß die Himmel auf) stellte er Improvisationen voran, die am Anfang noch die originale Melodie erkennen ließen, sich dann jedoch zu einer Klangpracht aufschwangen, als schwebte der Geist Franz Liszts über uns. Wunderbares Klavierspiel, das den weiten Kirchenraum füllte.
Klang der Musik und Klang des Worts – beides war gleichberechtigt an diesem Abend. Die Sopranistin Gundula Bernhold überzeugte nicht nur als Sängerin, etwa in den jazzig angehauchten Solostücken „Children’s Play Song“ und „A child is born“, sondern auch als einfühlsame, den Text geradezu melodisch umsetzende Rezitatorin. Sie trug Stellen aus dem Buch Jesaja vor und Gedichte von Bertolt Brecht, und in dieser Gegenüberstellung war augenfällig, wie sehr dieser entschieden atheistische Dichter Bilder und Motive aus der Bibel sich angeeignet hat. In seiner Begrüßung hat Henning Behrmann die Antwort zitiert, die Brecht auf die Frage nach seinem Lieblingsbuch gegeben hatte: Sie werden lachen, die Bibel!
Wolfgang Petrak war nicht nur Pianist, sondern auch kluger Moderator, der in Zwischentexten zu Eigenart und Entstehung der Lieder manches Wissenswerte vortrug. Etwa Maria Ferschl. Haben wir je von ihr gehört? Österreicherin, Lehrerin in Wien, Verfasserin des Lieds „Wir sagen euch an den lieben Advent“. Oder der „Children’s Play Song“ des Jazzpianisten Bill Evans, in dem sich ein Variationenthema von Mozart verbirgt. Diese und weitere interessante Details hielt Petrak für uns bereit. Und das Publikum war auch gefordert. Einen Summton sollten wir erzeugen, keine Tonfolge, sondern jeder den Ton, der ihm behagte. Über diesem Summchor breitete Petrak eine weitere Improvisation aus, was zu einer sehr eigenartigen, meditativen Stimmung führte. Einzelne Liedstrophen wurden auch textgetreu gesungen, teils a capella, teils zu begleitendem Klavier. Hier gab es aber auch irritierende Momente. O Heiland reiß die Himmel auf, morgens noch im Gottesdienst gesungen, war in dieser Version befremdend, distanziert und ein wenig verstörend. Es fehlten ihr Wärme und Fülle. Weil man noch die Orgelbegleitung im Ohr hatte? Vielleicht. Trotzdem war aber auch diese Erfahrung inspirierend und bereichernd.
Am Ende gab es herzlichen Applaus für einen großartigen Pianisten und für eine Sängerin, die ihren Texten – ganz gleich, ob gesprochen oder gesungen – eine hervorragende Interpretin war.
Frank-Michael Wohlers