Belcanto in Reinhausen

Was tun: Die letzten Sonnenstrahlen des Spätsommers genießen an diesem goldenen Oktobernachmittag des 21.10. – oder doch lieber auf leuchtende Klänge setzen und in die Reinhäuser St. Christophoruskirche gehen? Der Chor Belcanto mit seinem Leiter und Pianisten Torsten Derlin stand auf dem Programm und damit die Vorfreude auf hohe Gesangskunst. Also Kirche!

Und schon beim ersten Stück die Gewissheit: Das war die richtige Entscheidung. Mit „Nada te turbe“, einem meditativen Taizé-Gesang nach Worten der Teresa von Avila, zieht der Chor in die Kirche ein und formiert sich im Altarraum. Dann erklingt, intoniert von zwei Solostimmen und dann vom Chor und der Orgel begleitet, ein Choral von Mendelssohn. Und nun hat Chormitglied Olaf Lesemann den ersten seiner vitalen Auftritte: Er sagt die Stücke an und informiert über Wissenswertes und Kurioses.

Zum Beispiel: Gospel. Das Wort hat sich gebildet aus dem englischen good spell, zu deutsch: Evangelium, gute Nachricht. Wir hören eindringliche Beiträge dieser Gattung, etwa „Joshua fit the battle of Jericho“, grandios interpretiert von einer Solostimme, nur vom Klavier begleitet. Oder „Let my people go“ und „When the saints go marching in“, diesmal vom vollen Chor, mit dem unwiderstehlichen Refrain. Und Karl May hat ein Ave Maria komponiert – auf einen eigenen Text, der in Winnetou III steht. Tatsächlich ein klangschönes Stück, dessen spätromantische Aura der Chor uns nicht vorenthält.

Herausragend auch die Interpretation des 145. Psalms von Heinrich Schütz: Der Chor singt aus den Seitengängen, vorn im Altarraum bleibt eine Solistin und aus dem Wechsel von Einzelgesang und Tutti der beiden Teilchöre ergibt sich eine wunderbare Raumwirkung. Im Exultate Deo des Alessandro Scarlatti wird das Halleluja zum kleinen Ohrwurm, ein fröhlicher, eingängiger Refrain, in den man am liebsten selbst mit einstimmen würde. Und es fehlt nicht eine der wohl größten Kompositionen geistlicher Musik überhaupt, Mozarts Ave verum corpus, ein eindringliches, ergreifendes Stück, das in der makellosen Darbietung die Zuhörer anrührt und verzaubert.

Bei all dem stimmlichen Glanz – es gab auch faszinierende Instrumentalmusik. Die Flötistin Friedgund Göttsche-Niessner spielte mit Torsten Derlin eine Sonate von Johann Joachim Quantz (geboren in Scheden, Flötenlehrer Friedrichs des Großen), deren wiegender langsamer Satz haften blieb. Und Bach? Klingt herrlich, wenn nicht das Cembalo, wie vom Komponisten gedacht, sondern ein Akkordeon die Flöte begleitet. Zu großer Form lief Göttsche-Niessner in ihrem eigenen hochvirtuosen Stück Walpurgis auf, eine Art Konzert für ihr Instrument mit großer Spannweite von der Kantilene bis zu überblasenen, fast gesprochenen Partien, wie man sie, falls man Jethro Tull mag, von Ian Anderson kennt.


Gegen Ende des Konzerts wurde mit Augenzwinkern daran erinnert, dass wir zu einem Benefiz-Abend des Kirchbauvereins zusammengekommen waren. Aus Telemanns Singspiel-Übungen stimmte der Chor eine Arie mit diesem Text an: „Die größte Kunst ist Geld zu machen.“ Gelächter, herzlicher Applaus – ­und danach der tiefe Blick ins Portemonnaie: Dieser herrliche Abend darf ruhig was kosten.

Belcanto verabschiedet sich mit einem Bach-Choral („Der Tag ist hin“) und der schlichten Taizé-Weise „Meine Hoffnung und meine Freude“, in die wir alle mit einstimmen, während der Chor die Kirche wieder verlässt, gemeinsam mit seinem Pianisten Derlin. Sein Klavier spielt indessen ohne ihn weiter – ein kleiner Triumph der Digitaltechnik. Und doch der Gedanke auf dem Heimweg: Kein Chip kommt an gegen die Klangschönheit der menschlichen Stimme. Dem Chor Belcanto sei Dank für sein wunderbares Konzert.
Frank-Michael Wohlers